Zur Foto­grafie von Sternenkindern

Ein Bei­trag von Susanne Hartung

Als Foto­grafin, die in vielen Berei­chen des Lebens unter­wegs ist, begleite ich Men­schen in unter­schied­li­chen Lebens­si­tua­tionen — öfter bei den Freu­digen, am Beginn und in der Mitte des Lebens bei Geburten und Hochzeiten.

Seit der Mit-Grün­dung des Port­adora Netz­werkes freue ich mich, wenn ein Bestatter oder eine Familie mich bittet, auch am Ende eines Lebens als Foto­grafin dabei zu sein ‑zur Feier eines Über­gangs, der uns nicht in glei­chem Maße leicht fällt.

Eine Beer­di­gung oder Abschieds­nahme zu foto­gra­fieren ist für mich foto­gra­fisch eine beson­dere Her­aus­for­de­rung ‑und per­sön­lich eine Ehre und ein Geschenk. Jedes Mal bin ich berührt und dankbar, dass ich Zeuge der Liebe werden darf. Und dass ich daran erin­nert werde, wie wenig selbst­ver­ständ­lich und kostbar das Leben ist.

In der Klinik, in der ich seit Jahren Neu­ge­bo­rene für ihre Fami­lien foto­gra­fiere, wurde ich von den Ärzten einmal gebeten, ein wür­diges Foto einer „Früh- oder Tot­ge­burt“ zu machen. Ob die Eltern, die ihr Kind dort manchmal nicht mehr zu Gesicht bekommen (oder es in dem Moment nicht sehen möchten, bzw dies nicht ver­kraften können) später den Wunsch ver­spüren, diese Fotos zu sehen, weiß man nicht.

Ich emp­finde es aber wichtig, in jedem Fall dieses erste und letzte Bild anzu­fer­tigen und damit auch ein Zeugnis, einen Beweis für dieses kurze Leben zu geben. Es kann mög­li­cher­weise zu einem spä­teren Zeit­punkt für die Eltern bedeutsam und heilsam sein.

Als ich im Februar von der Bestat­terin Susanne Eckl zur Foto­grafie der Ein­sar­gung eines (nur eine Woche vor seinem errech­neten Geburts­termin ver­stor­benen) Jungen gebeten wurde, ging mir dies sehr nahe, denn es erin­nerte mich als Mutter an meine eigene Geschichte. Die Liebe zwi­schen den Eltern und ihrem tot­ge­bo­renen Kind über­wäl­tige mich, und die große Dank­bar­keit, die mir die Eltern für das Erstellen dieser gemein­samen Bilder mit ihrem Sohn ent­ge­gen­brachten, berührte mich sehr.

Selten bin ich des­halb so über­zeugt vom Sinn von Fotos als „Erin­ne­rungs­bilder“ wie bei der Foto­grafie von Ster­nen­kin­dern. Zu dieser Erkenntnis bin ich auch durch eigene leid­volle Erfah­rung gekommen, als ich im Jahr 2011 und 2013 meine Söhne im 4. und 5. Monat verlor. Da ich darauf bestand, sie zu Hause zur Welt zu bringen, konnte ich die ergrei­fende Erfah­rung machen, sie noch einmal zu „halten“. Auch wenn sie nur in eine Hand­fläche passten und zu klein waren, um sie fest in die Arme zu schließen, war dies eine wun­derbar heil­same Erfah­rung, da meine Liebe sich für kurze Zeit auch im Außen ihren Weg bahnen konnte ‑und ich das Geschehen so auf irgend­eine Art „begreifen“ konnte.

Als doku­men­ta­risch arbei­tende Foto­grafin ist es mir selbst­ver­ständ­lich, in nahezu jeder Situa­tion Fotos zu machen. So war es für mich auch klar, dass ich ein Bild meines kleinen, toten Babys machen würde, denn ich wollte das Wun­der­bare, das ersehnte Leben, wel­ches uns nach so kurzer Zeit wieder ver­lassen hatte, wenigs­tens in einem ersten und letzten Foto fest­halten. Dies wenigs­tens würde mir im Außen bleiben.

So steht Freddy heute auf meinem kleinen Fami­lien-Altar im Flur, inmitten der Fotos von meinen Groß­el­tern, den Groß­el­tern meines Mannes und meiner ver­stor­benen Freundin. Es hat zwei bis drei Jahre gedauert, bis ich so weit war, ihn dort dabei zu haben und ihn im Vor­bei­gehen mehr­mals täg­lich zu sehen. Anfäng­lich stand er etwas ver­steckt hinter den Anderen, auch weil ich mich vor even­tuell befrem­deten Kom­men­taren von Besu­chern fürch­tete. Es brauchte ein wenig Mut ‑vor mir selbst und vor Anderen- so offen mit unserer Geschichte umzu­gehen. Heute freue ich mich, dass ich dazu stehen kann und ich ihn wie all die anderen Fami­li­en­mit­glieder, die uns voran gegangen sind, dort als Teil meines Lebens grüßen und wür­digen kann.

Da wir ansonsten keine kon­kreten Fami­lien-Rituale ent­wi­ckelt haben, um uns an unsere Babys zu erin­nern, sind diese Bilder unsere ein­zigen greif­baren „Beweise“ für ihre kurzen Besuche bei uns. Die Fotos helfen mir, auch nach vielen Jahren meine bewusste, dank­bare Ver­bin­dung mit ihnen auf­recht zu erhalten.

Erfreu­li­cher­weise gibt es in Deutsch­land inzwi­schen eine ehren­amt­liche Initia­tive von Foto­grafen, die Ster­nen­kinder gege­be­nen­falls in der Klinik foto­gra­fieren. (http://www.dein-sternenkind.eu/)
Über mich und meine Arbeit können Sie sich unter www.susannehartung-foto.com und www.lebensmomente-fotografie.de infor­mieren. Mein Angebot bei Port­adora ist u.a. ein Erin­ne­rungs­buch, das zwi­schen zwei Buch­de­ckeln die Spuren eines Lebens bewahrt. (http://www.portadora.de/netzwerk/fotografie/susanne-hartung/?portfolioCats=23)

Foto: © Susanne Hartung

 

 

 

2020-12-14T15:50:52+01:0021. März 2019|Blog|