Ein Beitrag von Matthias Fiene-Vizy
Diese Frage soll natürlich provozierend gemeint sein, denn die Bezeichnung „Grabredner“ mag wohl kein Trauerredner.
Assoziieren wir nicht bei dem Wort „Grabredner“ einen Menschen, einen Mann, der vor einem offenen Grab steht und hinunter, in Richtung des verstorbenen Menschen spricht, um ihn so anzusprechen?
Das habe ich noch nie getan! Ich spreche nicht Tote an. Ich spreche über das Leben. Ich versuche das Leben mit dem Vielem, was das Leben ausmacht, zu beschreiben. Und ich spreche zu den Menschen, die den Verstorbenen oder die Verstorbene geliebt haben, die mit dem Menschen zu Lebzeiten gelebt haben, und auch zu denen, die durch das Leben des oder der Verstorbenen ihr eigenes Leben geschenkt bekommen haben, also deren Kinder.
So fühle ich mich nicht als Grabredner, sondern eher als Biograph, als jemand, der versucht sich das vergangene Leben zu vergegenwärtigen und es im Rahmen der Abschiedsfeier zu beschreiben.
Manchmal werde ich gefragt, warum machen sie das eigentlich? Sich ständig mit der Trauer anderer Menschen auseinanderzusetzen?
Natürlich gibt es dafür mehrere Gründe.
Ein Grund ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Ich bin als junger Mann Witwer geworden. Der plötzliche Tod meiner Frau, meine Trauer und natürlich auch die neue Lebenssituation, in die ich nun als alleinerziehender junger Vater von zwei kleinen Kindern hineingeworfen war; damit war ich völlig überfordert. Ich musste in Situationen lachen, in denen es nichts zu lachen gab und habe auch nach langer Zeit immer wieder Weinen müssen.
Die Trauerfeier für meine verstorbene Frau, ein Pfarrer hatte einen Gottesdienst gehalten, hat mich über viele Jahre beschäftigt und vielleicht entstand damals schon ganz tief in meinem Gefühl die Idee, einmal Abschiedsreden zu halten.
Ein weiterer Grund waren, die Menschen, die in den folgenden Jahren gestorben sind. Mein Vater, meine Mutter, ein Musikerfreund, mit dem ich intensive musikalische Erlebnisse erleben durfte.
Ich bin dem Tod auch im physischen Sinne immer näher gekommen und habe sehr unterschiedliche Abschiedsfeiern erlebt.
Auch gaben wohl eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit, die ich im Laufe meines Berufslebens erreichen konnte und die unterstützende Beziehung zu meiner Partnerin, den Ausschlag mich auf eine Reise zu den Menschen zu begeben und mich vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen, dafür zu interessieren, Abschiedsreden zu halten.
Dass ich eine gewisse wirtschaftliche Grundlage im Hintergrund hatte, wusste ich im Laufe der folgenden Jahre zu schätzen. Denn reich wird man durch das Halten von Abschiedsreden nicht.
Es sei denn, man ist bereit 12 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche mit einer relativ hohen emotionalen Belastung zu arbeiten.
Wer bereit ist, sich auf die Gefühle trauernder Menschen einzulassen, zuzuhören, ihr Gefühl zu er- spüren und auch mitzufühlen, nachzufragen, braucht Zeit. Und die Reden dann schreiben, braucht ebenfalls Zeit. Nicht zu vergessen das eigentlich Wichtige, die Reden auf den Abschiedsfeiern zu halten und durch die Abschiedsfeiern zu führen.
Auch das braucht Zeit und Vorbereitung.
Bei alledem kann ich sagen, dass die letzten 11 Jahre, in denen ich viele Reden gehalten habe, (ich bin jetzt 63 Jahre alt) besonders intensive und interessante Jahre meiner gesamten Berufstätigkeit waren. Durch eine Unvoreingenommenheit, die ich immer wieder üben musste, habe ich viel über das Leben gelernt und ganz unerwartete Situationen erleben dürfen. Menschen, die auf mich den Eindruck machten, sie seien hart und in emotionaler Hinsicht „unberührbar“, haben auf der Trauerfeier aus tiefem Herzen geweint. Nach der Abschiedsfeier sind sie zu mir gekommen und haben sich herzlich bedankt. Ich konnte oft Trost spenden. Ein Geschenk für die Getrösteten, genauso wie für mich.
Was für mich im Rahmen meiner Tätigkeit ebenfalls positive Erfahrungen bedeuteten und bedeuten, ist der fachliche und darüber hinaus auch der emotionale Austausch im Netzwerk „Portadora“. Teilweise bestand und besteht innerhalb der Netzwerkgruppen sowie über alle „Gewerke“ hinweg eine regelmäßige Kommunikation. Das hilft. Auch, weil man als Rednerin, beziehungsweise Redner größtenteils alleine arbeitet und in dem Berufsfeld eher eine Zurückhaltung besteht, sich den Kollegen und Kolleginnen zu öffnen.
Wie entlastend kann es da sein, auch über ganz praktische Dinge, zum Beispiel hinsichtlich der Gestaltung einer Abschiedsrede zu sprechen.
Ein guter Freund , sagte vor nicht allzu langer Zeit zu mir: „Wie gut Du es hast. Du kannst viel öfter üben, dich mit dem Tod anzufreunden.“ Ja, auch das ist ein Gedanke, der mich natürlich immer wieder beschäftigt. Doch ist es so, dass wir uns mit dem Tod anfreunden können? Ich weiß es nicht. Ich versuche mich mit den unterschiedlichen Empfindungen, die der Tod in mir auslöst, auseinander zu setzen oder besser: sie in mein Gefühl zu integrieren. Ob es mir hilft, meinen eigenen Tod besser annehmen zu können und mich, wenn es soweit ist, leichter aus meinem Leben zu verabschieden, das weiss ich momentan noch nicht zu sagen.
Text: Matthias Fiene-Vizy
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Foto: © M. Fiene-Vizy