Ein turbulentes Jahr geht zu Ende. Wie kann man es verabschieden? Ein Ritual für Wärme.
Ein Jahr voller unabsehbarer Geschehnisse. Ereignisse, die wir uns niemals hätten vorstellen können sind über uns hereingebrochen. Menschen werden angehalten Abstand zu halten, körperliche Nähe wird demnach zu einer Seltenheit.
Gerade in meinem Beruf als Bestatterin, bei dem ich Menschen oftmals sehr schnell in den Arm nehme, damit Trost spende und Kraft zurückgeben möchte, ist das sehr schwer.
Was hilft da in Zeiten dieser fehlender Wärme, fehlender Zuwendung?
Ein kleines Ritual, dass wir während des ersten Log downs, als die Friedhofskapellen geschlossen waren, entwickelt haben, hatte tatsächlich mit Wärme zu tun. Innerer und wie auch äusserer. Es gab keine Rede, keine Worte waren dem entsprechend was die Angehörigen und auch der Freundeskreis hätten hören wollen, geschweige denn einem Redner erzählen wollen. Sie waren erstarrt über den plötzlichen Tod eines jungen Mannes. Erstarrt und sprachlos. In einem kleinen Nebensatz hörte ich von den Freunden, dass dieser junge Mann ein Lieblingsgetränk hatte. Kakao! Aber nur eine ganz bestimmte Sorte. So fragte ich vorsichtig nach, ob denn jemand den Hersteller kennt. Das wussten alle, die da am Tisch um mich herum sassen. Tage später fuhr ich mit dem Auto zum Gendarmenmarkt und drückte die schwere Tür am Eingang dieses Nobelchocolatiers auf. Auf Anhieb fand ich den Kakao und kaufte in der gleichen Geschmacksrichtung noch kleine, sehr edel verpackte Schokoladenkugeln. Die sollten auch mit. Der Tag an dem die Beisetzung stattgefunden hat war ein kühler und trüber Tag. Das hätte ich mir für die jungen Menschen anders gewünscht. Ich jedenfalls war vorbereitet mit einem schön gedeckten Tisch mit langer Tischdecke an der Grabstelle. Der Verstorbene war ein Ästhet. Auch da waren sich alle einig. So habe ich meine schwarzen Thermoskannen mit einem roten Bändchen auf dem der Name des Verstorbenen stand, versehen, die Tassen in schlicht weiss und eine grossen Silberschale mit roten Schokoladenkugeln aufgestellt. Kerzen und rote Blütenblätter um die Grabstelle und auf den Tisch verteilt.
Mut zur Liebe
Ich habe mich getraut dies zu tun, ohne grosse Absprache mit den Freunden und Angehörigen, die eigentlich nichts wollten. Vor allem nicht diesen unfassbaren Tod. Als wir dann dort standen, begann ich die ersten Tassen mit dem heissen Kakao zu füllen und nach und nach halfen die Freunde mit. Als die Urne gesenkt wurde, standen wir im Kreis um die Grabstelle, jeder mit einer wärmenden Tasse Kakao in der Hand. Vorsichtig und zögerlich wollten die ersten Worte gesagt werden. Die Silberschale mit den Pralinen wurde herumgereicht . Die Kälte der Situation schmolz dahin. Es begann ein Austausch. Erlebnisse wurden erzählt, Kakaogeschichten verkündet und vieles, sehr persönliches mehr. Es wurde wärmer um uns und in uns. Und irgendwann wurde auch mal geschmunzelt. So kann es gehen, dass durch einen warmen Schluck Kakao, Menschen wieder Worte finden.
Was fehlte in diesem Jahr am meisten?
Ich denke für viele die Nähe, sprich die Wärme. Es gibt aber viele kleine Möglichkeiten Wärme zu verschenken. Manchmal muss man nur genau hinhören oder hinsehen.
geschrieben von: Susanne Eckl