Bestat­terin als Beruf und Berufung

Susanne Eckl im Inter­view mit Vera Bartholomay

Vera Bar­tho­lomay hat mich letztes Jahr für Ihr Her­zens­pro­jekt inter­viewt. Her­aus­ge­kommen ist ein Buch über Men­schen, die den Schritt in die Selbst­stän­dig­keit wagen. Aus­schlag­ge­bend für Vera war, dass die Men­schen Ihren Beruf als Beru­fung ansehen und diesen mit Lei­den­schaft aus­üben. Her­aus­ge­kommen ist ein Rat­geber für Men­schen, die den Schritt in die Selbst­stän­dig­keit wagen. Wer das Buch erwerben möchte, hier der Link: https://www.randomhouse.de/Paperback/Projekt-Sehnsucht/Vera-Bartholomay/Koesel/e544377.rhd

Das gesamte Inter­view hier zum Nachlesen.

„Ein tiefes Ein­lassen auf das Leben und die Endlichkeit.

Auf das Unfass­bare und Unbegreifliche.

Im Leben, wie im Sterben und im Tod.“

Mit diesen Worten lernen wir Susanne Eckl auf ihrer Web­site kennen. Wer ist diese außer­ge­wöhn­liche Bestatterin?

Du hast ein Bestat­tungs­un­ter­nehmen in Berlin — wie bist du zu diesem beson­deren Beruf gekommen?

Ich bin ursprüng­lich Flo­ristin gewesen. Dann ist die Mutter einer Freundin gestorben und ich wurde gebeten, den Trau­er­schmuck zu machen. Ich sagte gleich, dass ich für ihre Mutter nicht die eher lang­wei­lige Grab­flo­ristik machen wolle, denn sie war eine sehr krea­tive und musi­sche Frau. Meine Freundin hat mir dann freie Hand gegeben. Und dar­aufhin hat der beauf­tragte Bestatter mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, für seine Firma die Blu­men­ge­stal­tung zu über­nehmen. Ich war erst gar nicht so sehr inter­es­siert, aber er ließ nicht locker und hat mir erst mal erzählt, was ein alter­na­tiver Bestatter über­haupt macht — was da alles dazu­ge­hört. Und dass es oft darum geht, mit den Ange­hö­rigen zusammen ganz indi­vi­du­elle Wege zu suchen, wie man einen Abschied gestalten kann.

Ich hab mich dann darauf ein­ge­lassen und fand es gleich sehr span­nend. Manchmal habe ich mit den Enkel­kin­dern zusammen die Blumen für einen ver­stor­benen Groß­el­tern­teil gestaltet oder mit den Ange­hö­rigen zusammen in einem Garten die Blumen für die Feier geschnitten. Es waren immer wieder ganz berüh­rende Erleb­nisse. Nach und nach ist es immer mehr geworden und ich war irgend­wann sozu­sagen nur noch auf dem Friedhof. Eines Tages hat eine heu­tige Kol­legin gefragt, ob ich nicht selbst Bestatter werden möchte.

Ich war damals Mitte 30 und hatte natür­lich nie in diese Rich­tung gedacht, habe mich aber gefreut, dass die Kol­legen mir das zuge­traut haben. Bis zu meiner end­gül­tigen Ent­schei­dung hat es aber noch unge­fähr zwei Jahre gedauert. Ich habe lange über­legt, ob ich so etwas machen kann, und habe dann gemerkt, dass ich es in der Theorie nicht ent­scheiden kann. Ich muss prak­ti­sche Erfah­rungen machen. Dar­aufhin habe ich dann bei Kol­legen Prak­tika gemacht – und irgend­wann haben sie mir gesagt, jetzt wäre es an der Zeit, mit einem eigenen Angebot zu starten.

Auf den Beruf „Bestatter“ kommt man ja eigent­lich nicht so schnell. Es ist ja eher selten, dass man eine beson­dere Affi­nität zu diesem Beruf hat. Das ergibt sich eher zufällig. Obwohl es gar nicht so selten vor­kommt, dass Men­schen aus anderen Berufen in den Bestat­ter­beruf umsteigen, weil sie zum Bei­spiel durch per­sön­liche Trau­er­er­fah­rungen merken, dass das klas­si­sche Bestat­tungs­an­gebot für sie nicht geht.

Diese Ent­schei­dung war nicht schwer wegen der Begeg­nung und des Umgangs mit Ver­stor­benen, denn da hatte ich ja schon mitt­ler­weile viele gesehen. Es ging eher darum, ob ich es aus­halten würde, mich ständig mit dem Tod zu beschäf­tigen. Auch wenn man nicht direkt betroffen ist. Denn es geht ja darum, nicht nur zu wissen, dass wir alle sterben werden, son­dern es auch zu spüren.

Auf der anderen Seite ging es mir auch darum, dass die Beschäf­ti­gung mit dem Tod nicht immer nur schwer sein muss. Klar ist es immer auch sehr schwer, wenn man betroffen ist. Aber sich mit der End­lich­keit zu beschäf­tigen, ist ein Rie­sen­ge­schenk fürs Leben.

Men­schen, die in Hos­pizen arbeiten, berichten oft, dass diese Arbeit glück­lich macht. Dass es das Leben bereichert.

Bei den Hos­piz­mit­ar­bei­tern ist es sicher­lich noch ein wenig anders, denn sie beschäf­tigen sich ja mit der aller­letzten Zeit und mit dem Abschied­nehmen, bevor ein Mensch gestorben ist. Wenn die Men­schen zu mir kommen, ist ein Mensch meist schon gestorben und ich habe dann mit der außer­ge­wöhn­li­chen Situa­tion, in der die Ange­hö­rigen sind, zu tun. Das ist ein wirk­lich großes Geschenk, weil man etwas zutiefst Sinn­volles tun darf. Es ist eine Erfül­lung. Man darf in sol­chen Zeiten den Men­schen so schnell ganz nah sein. Das ist in kaum einem anderen Bereich so schnell mög­lich. Sich wirk­lich ein­lassen zu dürfen auf die tiefe mensch­liche Existenz.

In sol­chen Phasen geht es nicht länger um „schneller, höher, weiter“, son­dern wirk­lich darum, was jetzt gerade ist. Und sich dafür Zeit zu nehmen.

Eigent­lich geht es um die Lebens­es­senz, auch wenn es um den Tod geht?

Ja, und auch um die Mög­lich­keit, diese Zeit als wert­voll zu emp­finden. Auch wenn es natür­lich um Schmerz, Trauer und Sprach­lo­sig­keit geht. Das liegt mir sehr am Herzen. Ja, das ist sozu­sagen mein Herz­stück. Das Posi­tive in die Schwere hineinzulenken.

Dieser Beruf befindet sich in einer großen Ver­än­de­rung. Nicht nur hier in Berlin, wo wir natür­lich auch eine sehr beson­dere Gesell­schaft mit vielen indi­vi­du­ellen Wün­schen haben. Oft geht es um Men­schen, die ganz jung sterben und wo das ganz Tra­di­tio­nelle ein­fach nicht passt, wo weder der Eichen­sarg passt, noch die klas­si­schen Zere­mo­nien. Viele sind hier auch nicht mehr kirch­lich ver­haftet, sodass man neue Wege finden darf, kann und muss. Es ist immer wieder hoch span­nend, was in den Gesprä­chen mit den Ange­hö­rigen ent­steht – wie wir gemeinsam Mög­lich­keiten für neue Rituale ent­wi­ckeln können. Es geht immer wieder darum, genau hin­zu­gu­cken, was in diesem Fall stimmt und was sich ent­wi­ckeln kann aus dem, was mir erzählt wird.

Inter­es­san­ter­weise ist das Durch­schnitts­alter der Men­schen, die ich bestatten darf, Mitte vierzig. Das heißt, es ist meine eigene Alters­gruppe. Natür­lich gibt es immer wieder 80- oder 85-jäh­rige, wo eine Zere­monie mit einem Pfarrer immer noch stimmt, aber für jemand mit 35 stimmt es oft ein­fach nicht. Weder für den Freun­des­kreis, noch für den Ver­stor­benen. Ich habe auch viele Eltern, die ihre wirk­lich kleinen Kinder beer­digen müssen. Und dann braucht man oft gar nicht den klas­si­schen Trau­er­redner, denn da ist oft eine große Sprach­lo­sig­keit, die in einer anderen Form Aus­druck finden muss. Dann gibt es zum Bei­spiel die Mög­lich­keit, dass die Fami­li­en­mit­glieder Briefe schreiben, die ich dann vor­lese – oder etwas ganz anderes.

Natür­lich gibt es auch immer wieder Pfarrer bei den Bei­set­zungen, wenn es in dem Fall stimmig ist, aber die Ten­denz geht deut­lich dorthin, dass die Ange­hö­rigen ent­weder selber spre­chen oder dass ich etwas für sie spreche. Oder es wird ein pro­fes­sio­neller Redner engagiert.

Das Span­nende ist ja auch gerade, die Indi­vi­dua­lität des ver­stor­benen Men­schen her­aus­zu­fil­tern, damit die Men­schen bei der Trau­er­feier wirk­lich das Gefühl haben, der ver­stor­bene Mensch ist noch einmal im Mit­tel­punkt – viel­leicht sogar ein Stück weit auch da.

Wir ver­su­chen dann raus­zu­finden, mit wel­chen Erin­ne­rungen oder sym­bo­li­schen Gegen­ständen die Men­schen den Ver­stor­benen ver­binden. Viel­leicht war es das beson­dere Geschirr, das bei der Oma sonn­tags immer auf dem Tisch kam – viel­leicht können wir das dann jetzt hier in den Raum stellen? Oder es gab ein beson­deres Hobby.

Ich hab vor kurzem einen Trau­er­fall eines jungen Mannes begleitet, bei der alle so sprachlos waren, und dann gab es in der Kapelle warmen Kakao für alle Gäste, denn das war das Lieb­lings­ge­tränk gewesen. Und alle wussten so ganz genau, das steht für diesen Men­schen ‑und das war ein Stück weit heilsam.

Was wir genau machen, ent­wi­ckelt sich ein­fach. Ich hab da keine fer­tigen Ange­bote. Im ersten Gespräch ent­wi­ckeln wir erst mal einen ganz groben Rahmen. Denn wir brau­chen erst ganz prak­ti­sche Fakten, z.B. welche Art von Bestat­tung soll hier statt­finden, eine Erd- oder Feu­er­be­stat­tung. Dann schaue ich in die klei­neren Details und frage mich auch, was die Ange­hö­rigen jetzt gerade brau­chen. Gibt es unter­schied­liche Bedürf­nisse, die sie teil­weise nicht äußern können, die man aber mit der Zeit erahnt? Möchte sich jemand zum Bei­spiel noch einmal ver­ab­schieden? Oder möchten sie dabei sein, wenn wir den Men­schen waschen oder anziehen? Das ent­wi­ckelt sich auch erst mit der Zeit. Viel­leicht wollte zuerst nie­mand, aber wenn der Termin näher rückt für das Ankleiden, möchte dann doch noch jemand mit­kommen oder mit­helfen. Wichtig ist es dann auch, dass sie Ver­trauen zu mir haben und wissen, ich kann mit ihren Gefühlen umgehen.

Und später schaut man mehr ins Detail – gibt es ein Ritual, das die Trau­er­ge­meinde mit­ein­ander verbindet?

Du sprichst davon, manche alte Riten wieder auf­leben zu lassen oder neue zu ent­wi­ckeln. Mir per­sön­lich fehlt manchmal die klas­si­sche Toten­wache. Dass man als Gemein­schaft nach einem Todes­fall über län­gere Zeit zusammen sein kann und mit­ein­ander Erin­ne­rungen teilt. Oder die Mög­lich­keit, sich gemeinsam von dem Ver­stor­benen zu ver­ab­schieden. Viel­leicht sogar, dass dieser wei­terhin im Haus ist und dass man über län­gere Zeit Abschied nehmen kann. Gemeinsam lachen und weinen. So etwas findet ja in der Regel gar nicht statt.

Das liegt aber auch teil­weise daran, dass die Men­schen haupt­säch­lich im Kran­ken­haus, Hospiz oder Pfle­ge­heim sterben und es ist gar nicht so ein­fach einen ver­stor­benen Men­schen aus der Patho­logie eines Kran­ken­hauses noch einmal nach Hause zu holen. Da gibt es ganz strenge Bestim­mungen. Es ist mög­lich, aber nicht einfach.

In den Hos­pizen kann man sich in Ruhe von Ver­stor­benen ver­ab­schieden. Aber in den Kran­ken­häu­sern ist das nicht vorgesehen.

Wenn jemand aber tat­säch­lich zu Hause stirbt und es war viel­leicht ein plötz­li­cher Tod und nicht ein erwar­teter Ver­lauf, kommt es tat­säch­lich vor, dass ich gerufen werde und das Gefühl habe, es ist noch nicht richtig, dass ich den Ver­stor­benen sofort hier weghole.

Grund­sätz­lich ver­suche ich in sol­chen Situa­tionen, erst mal alles in Ruhe auf mich wirken zu lassen und den Raum zu einem guten Ort zu machen. Das kann bedeuten, dass ich eine Kerze anzünde oder irgend­etwas im Raum ver­än­dere, damit es ein anderes Bild wird.

Für die Ange­hö­rigen ist diese Situa­tion erst mal kaum aus­zu­halten, aber wenn ich etwas gerichtet habe und dann sage, dass ich jetzt noch einmal weg­fahre und in einigen Stunden wie­der­komme, oder dass die Ange­hö­rigen mich rufen sollen, wenn sie mich wieder brau­chen, dann hat sich danach meist etwas ver­än­dert. Und später ist es meist in Ord­nung, dass wir jetzt die Über­füh­rung machen. Man darf seinen geliebten Men­schen bis zu 36 Stunden zu Hause behalten. Es kann dann vor­kommen, dass ich erst nach 12 Stunden gerufen werde, weil es doch gut war, dass der Ver­stor­bene noch eine Weile da war.

Die Ange­hö­rigen sind ja erst mal im „Aus­nah­me­zu­stand“ und kon­zen­trieren sich oft erst auf alles, was jetzt getan und orga­ni­siert werden muss. Da fehlt oft die Gelas­sen­heit nach­zu­spüren, was hier eigent­lich gerade pas­siert ist, oder dass es viel­leicht gut wäre, sich erst mal in Ruhe ans Bett zu setzen.

Viel­leicht hast du auch eine ganz wich­tige Funk­tion als „Erin­nerin“ für uns andere, dass es im Leben um so viel mehr als um unsere All­tags­themen geht?

In meinem Beruf wird diese Fähig­keit wirk­lich gefragt und geschätzt, wenn auch oft erst im Nach­hinein. Aber die Men­schen sagen durchaus, dass sie genau das als wohl­tuend emp­funden haben.

Ich hoffe auch, dass manche Men­schen tat­säch­lich für ihr wei­teres Leben etwas mit­nehmen können aus dieser wert­vollen Zeit zwi­schen Tod und Trauerfeier.

Eigent­lich ist das, was du machst, auch ein Stück Heilung?

Ich bin da sogar ziem­lich sicher. Ich bin in einem Netz­werk von Kol­legen, die alle eine sehr men­schen­be­zo­gene Arbeits­weise haben, und wir erleben inter­es­san­ter­weise, dass kaum jemand von uns Ange­hö­rige zu einem Trau­er­be­gleiter schi­cken müssen. Das zeigt mir, dass wir in der gemein­samen Phase auch einige von den Trau­er­pro­zessen gemeinsam gegangen sind.

Was stärkt und hält dich in den schwie­ri­geren Zeiten?

Ich glaube, die Für­sorge für Mit­men­schen und die Für­sorge für die Verstorbenen.

Meinst du die Auf­gabe oder die Beru­fung, die gerade darin liegt?

Ja, absolut beides.

Was wür­dest du Men­schen raten, die heute vor einem neuen beruf­li­chen Weg stehen?

Das wirk­lich Ent­schei­dende ist eine Lei­den­schaft für das, was man tut. Dann kommen trotzdem schwie­rige Momente, aber wenn man für etwas brennt — wenn mein per­sön­li­ches Glück drin ist – dann bleibe ich auch dran.

Wie finden deine Kunden zu dir?

Fast immer über das Wei­ter­erzählen von anderen, die mit mir gute Erfah­rung gemacht haben.

Über meine Inter­net­seite kommen nicht so viele. Aber sie ist den­noch wichtig. Ich blogge dort unter anderem nicht nur, weil ich einige Geschichten erzählen möchte, die mir wichtig sind, son­dern weil es so viel gibt, was die Men­schen wissen sollten. Auch dar­über, welche Mög­lich­keiten man in der Trau­er­ge­stal­tung hat. Viel­leicht hat man sich etwas anders gewünscht und immer gedacht, es wäre nicht machbar. Denn man darf selbst viel mehr orga­ni­sieren, als man viel­leicht denkt – und auch mehr dabei sein.

Ich erlebe ganz häufig, dass die Men­schen ganz erleich­tert sind, wenn sie mich rufen und dann sehen, dass nicht das klas­si­sche Erschei­nungs­bild einer Bestat­terin vor der Tür steht, son­dern jemand, mit dem man sich viel­leicht auch abends so mal treffen würde.

Es kommt wirk­lich ein Mensch.

www.eckl-bestattungen.com

Wer mehr über die inspi­rie­rende Arbeit von Vera Bar­tho­lomay erfahren möchte, hier der link zu Ihrer Website.

https://www.vera-bartholomay.com/#page-top

Foto: © Susanne Hartung 

 

 

 

 

2020-12-14T15:47:57+01:0015. April 2019|Blog|